Wald im Marschland – ist das nicht ein Widerspruch? Vor etwa zweitausend Jahren ganz bestimmt. Der römische Geschichtsschreiber Plinius (23 bis 79 n. Chr.) beschrieb damals das Land an der Nordseeküste so:
„Das Meer wird dort zweimal am Tage und in der Nacht in gewaltiger Strömung hin- und hergetrieben. So kann man wohl daran zweifeln, ob diese Gebiete Land oder Meer sind. Dort wohnt ein beklagenswert armes Volk auf Erdhügeln, die man so hoch aufgeworfen hat, wie erfahrungsgemäß die höchste Flut steigt. In den darauf errichteten Hütten gleichen sie Seefahrern, wenn das Meer das Land ringsumher überflutet und Schiffbrüchigen, wenn das Wasser zurückgeflutet ist. Um die Hütten herum fangen sie die Fische, die mit dem Meer zurückfliehen. Diese Menschen können kein Vieh halten und sich nicht wie ihre Nachbarn von Milch ernähren. Sie können nicht einmal wilde Tiere jagen, da es weder Wälder noch Gebüsche gibt. … Zum Trinken haben sie nur das Regenwasser, das sie in Gruben am Vorplatz ihrer Häuser aufbewahren.“
Wer heute an der Küste entlang durch Ostfriesland fährt, dem fallen einzelne kleine Baumgruppen oder Wäldchen auf. Sie entstanden auf den beschriebenen Erdhügeln, den so genannten Warften oder wurden in der etwa tausendjährigen Geschichte der Eindeichung möglich. Diese Wäldchen fangen den häufig kräftig wehenden Wind ein und verhindern die Erosion. So hat sich in den mehr als tausend Jahren eine vielfältige Naturlandschaft im Einklang mit der Kulturgeschichte der Menschen entwickelt.
Folgerichtig ist am Stadtrand Emdens kein „dunkler Tann“ geplant. Angestrebt wird vielmehr ein lockerer Bewuchs mit Lichtungen und Kleingewässern.
Zunächst bestimmten auf nasse Böden angepasste Pioniergehölze wie Schwarzerle, Weide und Esche das Bild. Sie sind wuchsfreudig, wirken drainierend und auf lange Sicht humusbildend. So werden sie den Weg für weitere Arten ebnen. Weiden, Birken und Erlen sind zudem sogenannte Begleitbaumarten. Sie schützen in der Aufforstungs- und Pflegephase die Hauptbaumarten vor extremen Witterungsverhältnissen. Inzwischen befindet sich ein junger, artenreicher Mischwald in der Aufforstungsphase. Im nördlichen Teil der Pflanzung fügen sich Altgehölzbestände einer ehemaligen Baumschule ein.
Ausgehend von Bodenanalysen werden folgende Waldtypen angestrebt:
– Stieleichen-Hainbuchen Mischwald
– Eschen-Erlen Mischwald
– Stieleichen-Erlen-Ahorn Mischwald
– Eschen-Ahorn Mischwald
Die Herkunft des Pflanzgutes aus Forstbaumschulen der Region gewährleistet, dass die Jungpflanzen an die Boden- und Klimaverhältnisse der Marschlandschaft angepasst sind und gut anwachsen. In den ersten Jahren bleibt der noch junge Wald eingezäunt, damit er vor Verbiss durch Wild geschützt ist. Die beiden dominanten Baumarten Eiche und Esche sind hochwüchsige, lichtbedürftige Baumarten. Später im Hochwald bilden sie ein lockeres, lichtes Kronendach aus, so dass unter ihnen Nebenbaumarten wie Hainbuche, Linde und Ahorn eine Mittelschicht ausbilden. Ein derart stufiger Mischwald ist Ziel für die Entwicklung des Stadtwaldes. Er ist reich an Sträuchern, Stauden, Gräsern und Kräutern und bietet Lebensräume für eine artenreiche Vogel- und Insektenfauna.
In den Feuchtgebieten und Teichen haben sich bereits erste Wasservögel eingefunden. Fasane nutzen die Pflanzung zur Tarnung und Deckung. Habicht und Sperber haben das noch junge Wäldchen als Lebensraum für sich entdeckt. Sobald der Zaun entfernt ist, werden sich auch Rehe einstellen. Nun gilt es den Menschen in diesen jungen und in der Bevölkerung noch wenig bekannten Naherholungsraum zu locken.
In der heutigen hoch technisierten Welt fehlt häufig der Zugang zur Natur. Lautstärke, Schnelllebigkeit und Hektik, optische Reizüberflutung, Fast-Food, Abgase, alles, was der Mensch aufnimmt und wahrnimmt, entfernt ihn zunehmend von seinen natürlichen Wurzeln. Wir haben verlernt, auf einem liegenden Baumstamm zu balancieren, die leisen Töne zu hören, das in den Blättern der Bäume spielende Licht zu sehen und als Ankündigung eines neuen Tages zu verstehen, den Wind auf der Haut zu spüren, den Geschmack einer soeben gepflückten Brombeere zu genießen oder den Duft von Bärlauch im lichten Frühlingswald zu erkennen. Doch wer seine Wurzeln nicht mehr spüren kann, dem fehlt die Erdung, der verliert den festen Stand und Halt. Und das ist nicht nur für das einzelne Individuum, für seine Entwicklung und sein Wohlergehen ein unglücklicher Zustand. Nein, wem das tiefere Verständnis und Gespür für seine natürliche Umwelt fehlt, der sieht auch keine Veranlassung, für deren Schutz einzutreten. Und wer keinen festen Stand hat, dem fehlt auch das Rückgrat, um für ihren Erhalt zu kämpfen, für saubere Luft und sauberes Wasser, für Artenvielfalt – zum Beispiel in einem kleinen Stückchen Wald – und besonders natürlich und ganz aktuell für den Klimaschutz.
Ein an den Standort angepasster, in Stockwerken aufgebauter gesunder Mischwald, das ist nicht nur komprimierte Artenvielfalt, das ist nicht nur eine ausgeklügelte und effiziente Anlage zur Luftreinhaltung, das ist nicht nur ein Beitrag zum Klimaschutz, es ist auch und zugleich ein Lebens-, Lern- und Erfahrungsraum für den Menschen. Bereits nach einigen wenigen Schritten wird er umfangen von einer anderen Welt. Bereits einige wenige Schritte trennen ihn von Hektik und Lärm.
Hier lässt sich der Rhythmus der Natur erleben und mit allen Sinnen spüren, der Wechsel der Tages- und Jahreszeiten, das sanfte Wiegen und Neigen der Bäume im Sturm oder das Tremolo der Espenblättchen im Sommerwind. Draußen im Wald wird die Sinneswahrnehmung durch die unerschöpflichen Eindrücke geschult. Die Stille der Natur lässt uns wieder horchen und lauschen: Die raschelnden Blätter, die Vogelstimmen, der prasselnde Regenguss, der Wind in den Bäumen. Die bunten Herbstblätter sehen, den grauen Wolken-Regenhimmel, den Ameisenhaufen mit Muße betrachten, entdecken und beobachten. Die vielfältigen Formen und Farben der natürlichen Umgebung wirken beruhigend auf die Seele. Im Wandel der Jahreszeiten treten verschiedene Gerüche auf: der moosige Waldboden, die Blumen auf der Wiese, der harzige Ast, Hartes und Weiches erfühlen, Glattes und Raues, Trockenes und Nasses. Das regt die Wahrnehmung durch die Haut an. Der raue Tannenzapfen, die feinen Blütenblätter, die stacheligen Sträucher, die gefurchte Baumrinde, das weiche Moos, der glatte Stein, der glitschige Lehm.
Draußen in der Natur sind die Impulse, sich koordiniert bewegen zu wollen, groß. Umgefallene Baumstämme laden ein zum Klettern und Balancieren, Büsche zum Verstecken, Hänge zum Robben, Tiere zum Nachahmen. Der vielfältige Bewegungswechsel fördert den Körper zu mehr Ausdauer und Kraft und schult die Geschicklichkeit. Und durch den genügend natürlichen Raum bauen sich Aggressionen und Stress erst gar nicht auf.
Ein Informations- und Erlebnisprojekt soll nun den noch jungen Emder Stadtwald, dies auf rund 70 Hektar neu gestaltete Stück Natur, mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken. Naturerleben über die Generationen hinweg heißt das Motto des neuen Angebotes. Zielgruppe ist die ganze Familie. Es geht um Erleben, Erfahren und Lernen miteinander und voneinander. Ob als Station auf einer längeren Fahrradtour oder als Zielpunkt für einen kleinen Ausflug – im Zentrum des neuen Stadtwaldes soll ein Platz entstehen, der zum Verweilen einlädt und für jeden etwas bereit hält und anbietet – von Aktion bis Information. Dieser Platz soll attraktiv und spannend sein, sich jedoch von der blinkenden, glitzernden, lauten und turbulenten Atmosphäre eines Erlebnisparks abheben, in dem sich die hektische Welt des Alltags ja nur reproduziert anstatt eine wirkliche Alternative entgegenzusetzen. So geht es um Einrichtungen, die nicht aufdringlich oder gar künstlich und wie ein Fremdkörper in der Natur erscheinen. Es geht um ein Angebot, das sich bescheiden in das Landschaftsbild einfügt.
Ein wie zufällig bei der Gestaltung des Geländes zurückgelassener Sandhaufen wird wohl am ehesten die ganz Kleinen anziehen. Sie können den „Gipfel“ besteigen oder den Sand zum Greifen, Graben oder Bauen nutzen.
Einige übereinander gelegte Baumstämme bilden in ihrer Anordnung ein harmonisches Dreieck. Im Zentrum jedoch steht ein aus senkrecht in die Erde gerammten Pfählen errichtetes Baum-Labyrinth, das mit seiner Mächtigkeit den in Zukunft zu erwartenden Wald symbolhaft antizipiert. Verstecken und Entdecken heißt das leitende Motiv, das dieser Installation zugrunde liegt. So entsteht ein Wald aus Pfosten, der von weitem undurchdringlich erscheint. Wer sich auf das Abenteuer einer Annäherung einlässt, wer sich in das scheinbare Wirrwarr hineinbegibt, dem eröffnen sich, je nach Standort, ungeahnte Ein- und Ausblicke. Unterschiedliche Abstände und Höhen der Pfosten führen zu einer Rhythmisierung des Erlebnisses, erhöhen die Spannung und fokussieren die Blickwinkel.
Doch es gibt noch mehr zu entdecken. Vielleicht nicht für den Eiligen, für den das Erlebnis, das Verstecken, das Suchen und Finden das eigentliche Abenteuer darstellt. Aber wohl für den Langsamen, den Forschenden, der noch etwas mehr erfahren möchte. Denn in die Pfähle eingeschnitzt sind kleine Abbildungen von Bäumen und Waldtieren, die jedoch erst entdeckt werden wollen. Sie sind für große und kleine Leute in unterschiedlicher Höhe angebracht. Die Menge und Intensität des Dargebotenen kann der Betrachter selbst bestimmen.